(eine Glosse)
Zweimal im Jahr, genauer gesagt, in jedem Herbst und Frühling, stehe
ich vor meinem Kleiderschrank und stelle fest, dass ich mal wieder
einen ganzen Schrank voll nichts anzuziehen habe. Also beginne ich eine
Expedition, vor der mir fast ebenso graut wie vor dem Zahnarztbesuch:
Ich muss in die Stadt, Klamotten kaufen. Nachdem ich einen
Survival-Koffer für Baby Armin und einen für Töchterchen Melinda gepackt und dem
Kind eingeschärft habe, dass es diesmal nichts außer der Reihe gibt,
besonders keinen Besuch bei einer dieser Burger-Bratereien, steuert
unsere Karawane frohgemut die nächst gelegene Filiale eines dänischen
Textilkaufhauses an.
Schon am Eingang lachen mich olivgrüne Stufenröcke im Vintage-Look an,
mit 19,90 sogar ausgesprochen preiswert. Es gibt jede Menge in Gr. 34
und 36, einen in 38, jede Menge in Gr. 44/46, keinen einzigen in Gr. 40
oder 42. Nun ja.
Vielleicht eine von diesen orangeroten Corsagen? Es gibt sie in Gr. 34
und 36, einmal in 38, und massig in 46. Keine in 40 oder 42. Das
gleiche Spiel mit den khakifarbenen Dreiviertel-Hosen. Ich beginne zu
überlegen, ob Armin wohl noch lange durchhält und ob ich mich
zweckmäßiger Weise lieber auf Gr. 36 runterhungern oder auf Gr. 46
hochfuttern sollte
.
Ein paar Teile in passender Größe und realistischem Preis entführe ich
schließlich doch in die Umkleide, wo mich mein persönliches Waterloo
erwartet. Grell fällt das fahlgrüne Neonlicht direkt von oben und wirft
tiefe Schatten unter Augen und Jochbeine. Dafür beleuchtet es gnadenlos
plastisch gröbere Poren, Cellulite-Dellen und nicht ganz perfekt
rasierte Waden. Die beiden über Eck gestellten Spiegel vervielfältigen
meinen Hintern ins Unendliche; einen Moment lang habe ich die Vision,
meine Kabine mit einer Horde bleicher Flusspferde zu teilen, alle in
Baumwollschlüpfern.
Das erste Teil ist ein Cargorock in 42 (40 gabs nicht), der aus
unerfindlichen Gründen zu groß ausfällt und um mich schlottert wie ein
Sack. Die Blasbalgtaschen tragen unschön auf, der Saum endet genau an
der dicksten Stelle der Waden und verleiht mir die Anmut einer
Kolchosbäuerin. Melinda, in ein perfekt passendes Ensemble in
beige-bleu gewandet, blickt zur Kabine herein und verdreht die Augen.
Also lieber das Lingerie-Top in Türkis und die Caprijeans. Das Top
passt, nur die Hose geht nicht ganz zu. Vielleicht, wenn ich das Top
etwas weiter runter... In Gelb-orange gewandet, streckt Melinda ihren
Kopf durch die Tür und meint:"Du wolltest doch keine Unterwäsche
kaufen. Und der Knopf geht nicht zu." Danke mein Kind!
Aus dem Kinderwagen dringen verdächtige Gieks- und Gakel-Geräusche.
Noch schnell dieses Kleid hier mit Neckholder-Oberteil, in schlank
machender A-Linie und leuchtend orangenem Madraskaro.
Entweder habe ich mich verheddert oder sonst was: Der Neckholder ist
entschieden zu kurz und zwingt mich in eine seltsame Schiefhaltung,
mein Busen sprengt alle Dimensionen und dass A-Linie schlank macht,
kann ich nun gar nicht finden. Zu allem Überfluss bekundet Armin
lauthals, dass seine Geduld nun zu Ende ist und damit der
Einkaufsbummel auch. Kleiner Macho! Ich spüre, wie mir die Milch
einschießt.
"Dein Sohn weint," bemerkt Melinda, ganz in oliv-pink gehüllt und
Barbies kleiner Schwester sehr ähnlich, "und das Kleid sieht aus wie
eine Küchenschürze."
Hektisch bemühe ich mich aus dem Kleid heraus zu kommen, um zu meinem
brüllenden Sohn zu gelangen. Ich zerre und reiße, irgendwann macht es
ratsch und ich bin frei. Völlig derangiert, nass geschwitzt und mit
hochrotem Gesicht hänge ich die Sachen zurück. Hoffentlich sieht
niemand die Milchflecke auf dem Kleid...
Ich kaufe also das Barbie-Outfit, erstehe für Armin einen entzückenden
Matrosenanzug und lasse mich zum Besuch einer Burger-Braterei
breitschlagen, wo ich die ersten 600 Kalorien auf dem Weg zu meiner
neuen Kleidergröße vertilge. Bevor wir heim fahren, nehme ich noch drei
Zeitschriften mit; voller Mode, die ich nie tragen, präsentiert an
Frauen, deren Figur ich nie haben werde. Viele Illusionen und knapp
achtzig Euro ärmer lasse ich mich abends aufs Sofa fallen und schlage
die Zeitschrift auf. Das Model trägt MEIN Neckholder-Kleid! Es sieht
entzückend aus, gar nicht nach Küchenschürze. - Jedenfalls, wenn man
keinen Stillbusen, aber dafür rasierte Waden hat...